Die Natur als Spiegel der Seele?!

„Analyse der Naturbeschreibungen in der Novelle „Bahnwärter Thiel“ von Gerhart Hauptmann“ – so lautet das Thema, mit dem sich der Leistungskurs Deutsch der MSS2 aktuell beschäftigt. Auf der Suche nach Metaphern, Personifikationen und Pleonasmen ist es doch manchmal gar nicht so einfach, das große Ganze nicht aus den Augen zu verlieren. Was sollen diese ganzen sprachlichen Mittel denn eigentlich? Und hat der Autor sich wirklich was dabei gedacht?

Wie könnte man diese sehr berechtigten Fragen denn besser beantworten als selbst zu Autoren und Autorinnen zu werden? Doch die eigenen Gefühle zu beschreiben, indem man die Naturerscheinungen schildert, klappt wohl selbsterklärend nicht am heimischen Schreibtisch.

Also raus in den Wald, an den nächsten See oder auf eine Weide!

Erst einmal hieß es: Einfach nur wahrnehmen. Was sehe ich? Was höre ich? Was rieche ich? Die Lernerinnen und Lerner suchten sich dann ein einziges Motiv aus, in welchem sich zwei sehr unterschiedliche Gefühle spiegeln sollten, und fotografierten dieses.

Doch wie soll bitte ein und das selbe abgeholzte Stück Wald einmal Trauer und einmal Zuversicht ausdrücken?

Line Heimhard aus dem Deutsch-Leistungskurs zeigt es mit ihren beiden Texten sehr eindrücklich:

Trauer spiegelt sich in der Natur wieder:

Da ist er, genau vor uns. Der Tatort, abgeholzte Waldfläche, totes Land, gerodet bis aufs Letzte, umgeben von Schaulustigen. Kalt & leblos, dunkel die Atmosphäre unter grauem Himmel. Ein einziges Schlachtfeld. Ein wahres Trauerspiel.  Einstiger Märchenwald, saftig in seiner Lebensblüte nun übersäht mit Leichen, Gefallenen. Wo einmal Leben war, jetzt Tod. Da liegen sie, ganz plötzlich überfallen und auf brutalste Weise ermordet, massakriert, ausgelöscht. Leblose Baumstämme abgestorben, ausgetrocknet, entkleidet, entblößt, geziert von Krankheit, werden sie auch noch im Tod gequält, erleiden Verletzungen. Mit durchtrennter Kehle, abgetrennten Gliedmaßen, blutüberströmt sind sie dem Fraß vorgeworfen, so Quillen die Maden und Würmer aus ihnen heraus, der Mörder weilt noch unter ihnen. Versteckt und untergetaucht sucht er schon nach neuen Opfern, die er grausam und erbarmungslos ermorden kann, der Borkenkäfer. Wo einmal Leben war, der Tod. 

Zuversicht spiegelt sich in der Natur wieder:

Es herrscht Aufbruchstimmung. Die Wurzelwerke, ineinander geflochten, gewoben, ganz fest ineinander geschlungen, sind sie Eins. Angestrengt arbeiten sie zusammen. Mit vereinter Kraft schaffen Sie Neues. Das letzte Gehölz, die letzten Sträucher, ja auch das Moos schmiegen sich eng aneinander, wie das Rehkitz an seine Mutter gleich nach der Geburt. Sie verschmelzen, schaffen Leben, verbuschen. Jegliche Selbstheilungskräfte sind aktiviert. Langsam gesundet der Wald und erwacht schon ganz bald wieder zum Leben. Ein kalter Wind legt sich auf die Sträucher, bringt sie zum Tanzen. Er schafft Schwung, Lebendigkeit, Leichtigkeit. Der leichte Regen tätschelt den Boden. Mit voller Inbrunst zieht der Wald in auf sich, saugt ihn in sich auf. Erfrischung und Abkühlung erfüllen ihn. In absehbarer Zeit wird auch der Himmel aufreißen und das Land von Sonne geküsst sein. Es wird von Licht gefüllt sein, seine Leere wird ihm genommen. Die Natur arbeitet, sie hat jegliche Kraft, Hoffnung und Mut geschöpft, sie hat Antrieb gefunden. Sie reaktiviert sich. Sie wird in neuem Glanze erscheinen, aufblühen und noch schöner, kräftiger und gesünder sein als zuvor. Selbstheilungskräfte sind die stärksten Kräfte.