Ansprache Schulleiter Meffert am 19.9.2011
"Meine sehr geehrten Damen und Herren, Dr. Kukuk hat zu Beginn dieses Festaktes die Vorgeschichte des Raiffeisen-Campus skizziert und dabei allen gedankt, die diese Schule von Anfang an so tatkräftig unterstützt haben. Ich möchte mich am Ende dieses Festaktes dem Dank anschließen und ihn um einen Dank ergänzen. Dieser Dank gilt den vier Ehepaaren, die ganz im Sinne Friedrich Wilhelm Raiffeisens wagemutig in die Bresche sprangen, wo es dem Staat nicht möglich gewesen wäre, in gleicher Frist zu gleichem Ergebnis zu kommen.
Ich danke also Ihnen, den Ehepaaren Feld, Herovic, Kukuk und König im Namen der Lernerinnen und Lerner und Lehrerinnen und Lehrer des Raiffeisen-Campus. Was Sie neben ihrer je anspruchsvollen beruflichen Tätigkeit und Familienarbeit in den vergangenen 24 Monaten an Zeit, an Mühe, aber auch an Leidenschaft in dieses Projekt investiert haben, verpflichtet mich und alle am Campus, in gleicher Weise die junge Geschichte unserer Schule fortzuschreiben und wir wissen uns auf diesem Weg von Ihnen als Trägergenossenschaft hervorragend beraten und unterstützt.
Wenn Herr Dr. Kukuk also die Geschichte bis zum 8.8.2011 so trefflich beschrieben hat, ist es jetzt an mir, am Ende dieser Veranstaltung einen kurzen Einblick in Theorie und Praxis des Raiffeisen-Campus zu werfen und auf die Frage zu antworten, ob der Raiffeisen-Campus Bildung gänzlich neu erfinden muss? Meine Antwort ist: Nein, denn schon vor über 2500 Jahren wusste Heraklit, "Bildung ist nicht das Befüllen von Fässern, sondern das Entzünden von Flammen."
Wenn ich eben von Leidenschaft sprach, mit der die Mitglieder der Raiffeisen-Campus-Genossenschaft ihr Projekt realisierten, so muss die gleiche Leidenschaft auch uns Lehrer beflügeln, damit sie unsere Lerner erreicht. Nur der Lerner, in dem wir eine Flamme entzünden können, sei es für das Recht, für die Politik, für eine Unternehmung oder für die Rechte der Schwächeren, nur in diesem Menschen werden wir dem Anspruch Heraklits gerecht. Ein solcher Mensch wird keine Mühe scheuen, das, was er in der Schule noch nicht gelernt hat, in seinem Leben selbstständig zu erlernen und nachhaltig anzuwenden. Wir müssen uns wieder trauen, den Menschen als Person und seinen Charakter zu bilden, statt ihn bloß auf verwertbare Kompetenzen zu reduzieren. Wir müssen ihm wieder Orientierung geben, statt Gleich-Gültigkeit und Mittelmaßorientierung für Liberalität zu halten, denn zur Freiheit in unserer Gesellschaft gehört der Respekt vor der individuellen Leistung, und diese muss und darf sich in Noten klar ausdrücken.
Nein, der Raiffeisen-Campus erfindet Bildung nicht neu, sondern führt sie mit neuen Mitteln auf alte und zugleich zeitlose Werte zurück. Der Kunstpädagoge Cornelius Gustav Gurlitt brachte seine Vorstellung von Schule vor gut hundertfünfzig Jahren auf eine zuspitzende Formel, die ich immer dann zitiere, wenn man mich nach meinem Motto fragt: „Man soll denken lehren, nicht Gedachtes.“
Deshalb setzen wir am Raiffeisen-Campus vom ersten Tag an auf die Stärkung der Selbstverantwortlichkeit der Lernenden und sind den Eltern dankbar, wenn sie durch kluge Zurückhaltung ihren Kindern diesen Lernprozess ermöglichen statt ihn durch Überbetreuung zu verhindern. Die heutigen Kinder werden es ihnen als junge Erwachsene und darüber hinaus durch bessere Leistungen und eine größere Zufriedenheit danken. Wenn Schule bildet und Eltern erziehen und die dennoch durchaus notwendigen Schnittmengen von Erziehung und Bildung zwischen Elternhaus und Schule klug abgestimmt sind, dann kann sich ein junger Mensch gut entwickeln.
Was bedeutet das Gesagte für unsere Schule? Wir sind als Schule in gleichem Maße innovativ wie konservativ – wir bewahren ein Bildungsideal, das nie Selbstzweck war, das den Lerner und die Lernerin nicht als Zahnrad in einer Bildungsmechanik sieht und das in ihnen, um nochmals Heraklit zu zitieren eine Flamme entzünden will, die man auch Bildungshunger nennen könnte. Dieser Bildungshunger ist jedem Kind mitgegeben, er wird nur zu häufig von bildungsfreiem Fast-Food in Form des Konsums elektronischer Medien vorab betäubt. Vielleicht gelingt es unseren knapp 40 Lernerinnen und Lernern ja deshalb schon jetzt so gut, den auf den ersten Blick langen Tag am Campus gut durchzuhalten, weil wir nicht nur didaktische Metastrukturen geschaffen haben, die den Tag abwechslungsreich gestalten, sondern auch deshalb, weil das Zusammensein mit Gleichaltrigen noch immer interessanter ist als Fernsehen und weil das gemeinsame Leben und Lernen spannender ist als Gameboy und Facebook.
Wir haben uns auf die Fahnen geschrieben, im Humboldtschen Sinne die Welt in unser Schulhaus hinein zu bitten und auch als Schulgemeinschaft in die Welt hinauszugehen. In gleicher Weise werden wir in den nächsten Jahren in Unternehmen und Institutionen hineinschauen, die in unserer Region und darüber hinaus zu unseren Partnern werden. Humanistische Bildung ist nämlich eben jene, die das Gymnasium nicht zur Bewältigungsstätte sich selbst genügender Bildungsinhalte werden lässt (gemäß des alten Schülerspruchs, Lehrer seien Menschen, die einem helfen Probleme zu lösen, die man ohne sie gar nicht hätte), sondern humanistische Bildung ist solche, die das Denken lehrt, ohne zu bestimmen, wie das Ergebnis dieses Denkens auszusehen hat oder ob es eine genaue Passung für eine wirtschaftliche Verwendung beinhaltet.
Verstehen Sie mich nicht falsch: Dass wir ökonomische und soziale Kompetenz im Sinne Raiffeisens hochhalten, steht dabei nicht im Widerspruch. Ökonomische Kompetenz ermöglicht ja erst eine kritische Auseinandersetzung mit Fehlentwicklungen unserer sozialen Marktwirtschaft und so wollen wir keine wirtschaftsgläubigen, sondern ökonomisch kompetente und zugleich sozial verantwortliche junge Menschen bilden so wie Friedrich Wilhelm Raiffeisen selbst ökonomisch innovativ und zugleich sozial verantwortlich handelte.
Wenn Schule so wieder unter dem Diktat des Denken-lehrens steht und nicht versucht, PISA-konform Gedachtes zu verabreichen, dann macht Schule auch wieder mehr Freude. Ob sie jedoch immer Spaß machen muss, bezweifle ich. Leistungsorientierung ist uns am Raiffeisen-Campus wichtig und solche Leistungsorientierung bedingt Anstrengung. Wir wollen solche Anstrengung unseren Lernerinnen und Lernern zu-muten, sie dazu er-mutigen. Deshalb erteilen wir klare Noten und wehren uns so aktiv gegen eine Inflation oder gar eine Abschaffung von Noten, damit gute Leistungen auch wieder einen echten Anreiz darstellen.
Lassen Sie mich zum Schluss noch an zwei Begriffen verdeutlichen, was wir am Campus anders und – ich sage das in aller Deutlichkeit – auch besser machen wollen: Wir wollen Kinder nicht unter-richten, sondern lehren. Ein Kind, das ausgerichtet oder unterrichtet wird, wird später nicht wissen, wie es Entscheidungen fällt, wie es sich selbst Richtung gibt. Wir am Raiffeisen-Campus wollen Kapitäne ermöglichen, nicht Matrosen. Deshalb nennen wir die Kinder am Campus auch nicht mehr Schüler, sondern Lerner.
Was nach Sprachakrobatik oder neumodisch pädagogischem Slang klingt, hat einen Kern, der Träger und Schulleitung gleichermaßen wichtig ist: Wir wollen die Kinder nicht mehr nach Beton und Ziegeln benennen oder nach der Institution, in der sie sich befinden. Wir nennen sie nach dem, was uns Lehrern am Herzen liegt und was wir deshalb fördern wollen: Wir nennen sie Lernerinnen und Lerner und, was sie u.a. in den wenigen Wochen bereits gelernt haben, konnten Sie eben auf dieser Bühne ja bereits erleben.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ein Festakt zur Gründung einer Schule steht immer in der Gefahr, die Bedeutung von Schule im Leben eines jungen Menschen überzubewerten, obwohl Schule unstrittig einen hohen Stellenwert hat. Ja, wir können und sollten auch weiterhin engagiert über Schule streiten. Aber wir sollten als Gesellschaft selbstkritisch anerkennen: Schule, und sei sie noch so gut, kann nichts kompensieren, was in den Familien vernachlässigt wurde. Gerade deshalb bin ich persönlich dankbar für die großartigen und mutigen Eltern des ersten Jahrgangs, die sehr bewusst ihre Entscheidung für den Raiffeisen-Campus getroffen haben. Ihnen, liebe Eltern, gilt dafür last but not least mein Dank am heutigen Abend.
Mit der Überschrift „Schlussworte“, meine sehr geehrten Damen und Herren, war sicher auch bei Ihnen eine Zeitvorstellung verbunden und, auch wenn wir Bildungshunger und -durst am Raiffeisen-Campus wecken wollen und stillen helfen wollen: Es ist klar, dass auch an einem so festlichen Abend Hunger und Durst ein noch grundlegenderes Bedürfnis sind. Deshalb schließe ich mit meiner herzlichen Bitte, unsere Schule auch weiterhin zu unterstützen oder wohlwollend zu begleiten.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit."
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