Liebe Abiturientia, liebe Eltern, liebe Kolleg:innen,

Freund, das heißt auf Spanisch Amigo oder Amiga und das Wort kann einem auch im Deutschen wahrlich Spanisch vorkommen. Euer Abimotto, liebe Abiturientia, macht es mir wirklich leicht. Denn die Freundschaft ist das zentrale Anliegen dessen, der unserer Schule seine Werte gegeben hat. Ein mittelloser Wanderprediger vor über 2000 Jahren, der den politischen Machthabern zu mächtig wurde, weil und obwohl er auf jede weltliche Macht verzichtete. Er setzte stattdessen auf die Macht der Freundschaft, der Zuwendung, der Empathie aber auch der guten Selbstsorge. Seine Name ist Jesus von Nazareth, wir nennen ihn Christus und unsere Schule als dezidiert christliche Schule hat ihr Welt- und Menschenbild von ihm übernommen.

Und genau das nervt.

Zumindest manche, manchmal.

Beim letzten Ehemaligentreffen, an dem Ihr das Catering übernommen hattet, kamen zwei Ehemalige zu mir. Mit dem einen hatte ich häufiger zu tun, weil er ein absoluter Overachiever war, sehr engagiert, super erfolgreich aber immer mit eigener Meinung. Den anderen mochte ich ebenfalls, auch wenn er in mancher Hinsicht anders war. Er saß auch schon mal bei mir, weil er sich an den Regeln unserer Schule rieb, er hatte es auch wirklich nicht so leicht in der Schule, aber geht inzwischen ebenfalls erfolgreich seinen Weg. Und auch er hatte immer eine eigene Meinung.

Die beiden stellten sich mir in den Weg und hatten klar ersichtbar ein Anliegen. Nun kann es nach zwei Bier schon einmal sein, dass man als Lehrer oder Schulleiter bei einem Ehemaligentreffen mal noch so richtig die Meinung gesagt bekommt und deshalb war ich auf alles vorbereitet und es ging auch genau so los.

„Also Herr Meffert,“ begann der eine, „wir müssen Ihnen mal sagen, was uns am Raiffeisen-Campus immer furchtbar genervt hat.“ „Genau,“ sagt der andere “bei jeder einzelnen Schulversammlung und jeder Nachricht von Ihnen immer wieder dieses Gerede von Schulfamilie, von einem Wir, von Gemeinschaft. Das ist uns so was von auf den Keks gegangen.“ „Richtig“, ergänzte der andere. „Sie konnten es nicht lassen. Immer wieder alleine dieses Wort „Schulfamilie.“ Wie hat uns das genervt. Wir haben das einfach nicht so empfunden, damals.“ Ich erspare Ihnen, liebe Gemeinde, die gefühlt zehn Wiederholungen dieser einen These, die die beiden bei mir abließen. Ich hörte geduldig zu, denn irgendwie schien mir das nicht rund, ich wartete auf eine Ergänzung, eine Pointe und sagt das irgendwann auch. „Hier fehlt doch noch was, was wollt Ihr mir denn noch sagen? Ich hab’s ja längt kapiert: Schulfamilie als Wort und Idee hat Euch genervt.“ „Ja,“ sagten die beiden, „stimmt, Herr Meffert, es gibt noch eine Pointe.“

Und die Pointe ist: „Sie hatten recht. Egal wie sehr uns das genervt hat, wir waren, wir sind eine, wenn auch sehr große Familie und als wir eben auf den Schulhof kamen, haben wir gespürt, dass wir hierhin gehören. Und dass es dieses WIR wirklich gibt, von dem Sie so oft gesprochen haben.“

Ich nenne Euch nicht mehr Diener, sondern Freunde, sagt Jesus im Evangelium seinen Freunden.

Was seid Ihr als Jahrgang füreinander? Alle Freunde oder Freundinnen? Sicher nicht, es gab unter Euch 31 Menschen auch immer mal Stress und Streit. Und das ist menschlich verständlich.

Was müsste man denn tun, um aus Jesu Sicht ein guter Freund zu sein? Jesus definiert Freundschaft so: „Ich nenne euch nicht mehr Diener; denn ein Diener weiß nicht, was sein Herr tut. Vielmehr nenne ich euch Freunde; denn ich habe euch alles gesagt, was ich von meinem Vater gehört habe.“

Seine Jünger haben sich also emanzipiert, das heißt wörtlich übersetzt: Sie haben sich aus seiner Hand genommen, sind jetzt selbstständig und wissen alles, was auch er von seinem Vater im Himmel wusste.

Wir nennen Euch in ca. drei Stunden nicht mehr LernerInnen, sondern Ehemalige. Mir gefällt der Begriff nicht. Ihr seid nie  „Ehemalige“, Ihr seid auch dann „Jetzige“.

Aber Ihr seid dann eben auch keine LernerInnen mehr, sondern Alumni. Alumni, das heißt wörtlich übersetzt, dass Ihr gesättigt seid von dem, was wir Euch zu bieten hatten und jetzt auf Augenhöhe als Erwachsene zu unserer Schulfamilie gehört.

Denn ob Ihr es heute schon realisiert oder nicht, Ihr bleibt mit uns und wir bleiben mit Euch verbunden. Selbst wenn das derzeit noch nervt. Zum Beispiel beim nächsten Ehemaligentreffen am 7. Oktober, zu dem ich Euch schon jetzt herzlich einladen möchte.

Ich würde mich freuen, wenn auch Ihr dann spürt, was heute vielleicht noch nicht jedem so vor Augen steht: Ihr seid eben doch so etwas wie Freunde und Freundinnen. Vielleicht nicht BFFs aber mindestens freundschaftlich verbundene Weggefährten.

Und auch das ist schon viel wert.

Jesus wiederholt in dem Text, in dem er die vormaligen Jünger endgültig in den Rang von Freunden befördert nur einen einzigen Satz zweimal. Er muss ihm sehr wichtig gewesen sein:

„Ihr sollt einander so lieben, wie ich euch geliebt habe.“

Ist das nicht eine totale Überforderung, denn auch die Jünger waren ja kein gewachsener Freundeskreis, sie verband so wie Euch ja zunächst nur die rein äußerliche Tatsache, dass sie über Jesus zu einer Gruppe von Menschen gehörten, so wie Ihr zu unserer Schulfamilie?

Nein, ist es ist keine Überforderung. Wenn hier von Liebe die Rede ist, dann ist ja nicht die romantische Liebe zwischen zwei Menschen gemeint. Sondern die aufgeklärte, vernünftige Zuwendung zu den Mitmenschen, wissend, dass wir nur so zugleich erfolgreich aber auch zufrieden sein können.

Den Anderen so zu lieben, wie man sich selbst liebt, ist eine lebenslange Aufgabe, Amigos und Amigas.

Und die schwerere davon ist, sich selbst zu lieben.

Wer mit sich selbst im Reinen ist, dem wird es leichtfallen, sich dem anderen zuzuwenden, ohne sich selbst zu überfordern oder sogar aufzugeben.

Christliche Nächsten- (und Selbst-!)liebe, das ist kein asketisches oder selbstzerstörererisches Fernziel. Es ist eine pragmatische, bodenständige Einladung zu einem Leben in Fülle. Das, so Jesus, ist seine Einladung an uns: „Ich aber bin gekommen, um Euch das Leben zu geben, Leben in Fülle.“

Ich wünsche Euch heute in diesem, seinem Sinne ein Leben in Fülle. Abitur, das ist Latein und bedeutet, dass man abgegangen ist. In Österreich nennt man es Matura und auch auf Eurem Abiturzeugnis steht Hochschulreifezeugnis.

Ich würde mir wünschen, dass diese Eure Reife sich darin zeigt, dass Ihr Euch auf ein Leben in Fülle freut und schon jetzt erkannt habt, dass dieses Leben in Fülle nur so zu haben ist, dass man es mit Freundschaft erreicht. Freundschaft zu seinen Mitmenschen und zu Gottes guter Schöpfung. Mit einem guten Maße an Selbstliebe und der Akzeptanz der Tatsache, dass wir alle nicht perfekt sind, ich zumindest nicht.

Amigos und Amigas, liebe Gottesdienstgemeinde, wir sind eingeladen, freund-lich zu sein.

Heute ist das leicht, denn wir feiern gemeinsam. Ab morgen aber ist es wieder eine Herausforderung, der wir uns stellen müssen. Wenn wir es schaffen, winkt uns ein Leben in Fülle.

Bernhard Meffert, am 15.7.2022 im Abiturgottesdienst