Friedrich Wilhelm Raiffeisen – Bankier aus Christenpflicht

Ein Jubiläumsjahr ist etwas Besonderes. 2018 ist daher nicht nur für die mittlerweile weltweit tätigen Genossenschaftsbanken, sondern auch für den Raiffeisen-Campus ein ganz besonderes Jahr: Wir feiern den 200. Geburtstag des Namensgebers unserer Schule.  Als akademischer Auftakt zu diesem Jubiläumsjahr, das unsere Schule mit zahlreichen Veranstaltungen unterschiedlicher Formate das gesamte Jahr über im Gespräch halten wird, lud Oberstufenleiterin Frau Renate Scheffler Herrn Professor Dr. Michael Klein zu einem Vortrag im Rahmen von LitLive am 7.5. 18 nach Dernbach ein. Es hätte kein besserer Referent gefunden werden können: Der Heidelberger Theologieprofessor und Pfarrer der Ev. Kirchengemeinde Hamm/Sieg ist ein ausgewiesener Kenner Friedrich Wilhelm Raiffeisens. Er hat nicht nur über den Genossenschaftsgründer promoviert, sondern auch weitere erfolgreiche Bücher über ihn publiziert.

Bereits in ihrer freundlichen Begrüßung stimmte Moderatorin Frau Jenny Groß die Zuhörer auf einen besonderen Vortrag ein, in dessen Mittelpunkt ein außergewöhnlicher Mensch  namens Friedrich Wilhelm Raiffeisen stehe, dessen Gedanken und Leistungen auch nach 200 Jahren an Aktualität und Relevanz nichts eingebüßt hätten. Und tatsächlich griff Professor Dr. Klein diese These gleich zu Beginn seines Vortrags auf und untermauerte sie während seiner Rede mit zahlreichen Fakten.

Der Vortrag, der sich durch intime und umfassende Kenntnis des Referenten über Leben, Zeit und Wirken Friedrich Wilhelm Raiffeisens auszeichnete, spannte inhaltlich einen weiten Bogen von der Geburt und der schwierigen Kindheit des späteren „Bankiers“ über die Gründung der Genossenschaften bis hin zu seinem Tod im Jahr 1888. Dabei kristallisierte sich der Genossenschaftsgründer Raiffeisen vor allem als revolutionärer Sozialreformer heraus, dessen Handeln christliche Motive zugrunde lagen: Mitnichten ging es Raiffeisen darum, Almosen zu verteilen, sondern stets um Hilfe zur Selbsthilfe und um gegenseitige Unterstützung: „Einer für alle, alle für einen.“ (F.W. Raiffeisen)

Professor Klein veranschaulichte diese wegweisenden Gedanken, die in dem bereits zum geflügelten Wort avancierten Spruch „Was einer alleine nicht schafft, dass schaffen viele“ einen nachhaltigen sprachlichen Niederschlag gefunden hat, u.a. mit dem Hinweis auf Raiffeisens zukunftsweisende Infrastrukturprojekte und seine „Brot“- und „Hülfsvereine“, für die es ihm sogar gelungen war, die Unterstützung von Begüterten und Geistlichen zu gewinnen. Doch der Christenpflicht, so Michael Klein, sei Raiffeisen stets treu geblieben, selbst dann noch,  als er sich ab 1860 dazu gezwungen sah, seine ursprünglichen Hilfsvereine in Darlehenskassenvereine umzuwandeln, um dem zunehmenden Verlust wohlhabender Mitglieder entgegenzuwirken. Gleichzeitig betonte Professor Klein allerdings auch, dass Raiffeisen konservativ war, was sich beispielsweise dadurch zeige, dass er die Bauernrevolution 1848 vehement ablehnte. Der Referent äußerte in diesem Zusammenhang die spannende Vermutung, dass diese konservative Haltung, die gelegentlich eine von Raiffeisen selbst allerdings stets widersprochene antisemitische Deutung mancher seiner Aussagen Anlass gegeben habe, möglicherweise ein Grund gewesen sein könne, warum Raiffeisens Ideen sogar in der Politik und in den Kirchen der 1890er Jahre Anklang fanden.

Professor Michael Klein hat in seinem Vortrag zahlreiche, bisher wenig bekannte Schlüsselmomente im Leben und Werk Friedrich Wilhelm Raiffeisens referiert, bei denen dem aufmerksamen Zuhörer klar geworden sein dürfte, dass die Beschäftigung mit dem Genossenschaftsgründer und Namensgeber unserer Schule keine bloß antiquarische Gelegenheit ist. Raiffeisens christlich fundierter Horizont war weiter als unser Horizont, wir sind in der Geschichte und Welterfahrung vorangeschritten, aber wir gewinnen, wenn wir versuchen, uns in unserer durch Gewinnmaximierung und Ellenbogenmentalität gekennzeichneten modernen Welt an Raiffeisens  Weltanschauung und Werten zu orientieren.

Ein inhaltlich und sprachlich ausgezeichneter und in einem mitreißenden Stil gehaltener Vortrag, der den anwesenden Eltern, LernerInnen und LehrerInnen  lange in positiver Erinnerung bleiben dürfte.